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Auf Goldsuche und - ein Ende mit Steinlager und Tränen


10. E-mail aus Aotearoa, Ende Mai 1996

Heute ist wieder einmal "Kindertag". Solche Tage schalten Eveline und ich immer ein, wenn uns das schlechte Gewissen plagt und wir versprechen: "Heute machen wir nur das, was den Kindern Spass macht!". . . und merken dann, dass es auch uns gefällt. Es ist Montag, 20. Mai 1996, und wir machen uns auf von Hoki nach Shantytown. Wieder ein strahlend schöner, aber recht kalter Tag. Die Sonne bricht ihr Licht in den schäumenden Kronen der Tasman Sea, dieser wilden Gischt, die ewig an der rauhen Westküste nagt. Die Fahrt führt schnurgeradeaus durch einsame Weiden, nur hie und da eine rechtwinklige Kurve, die in ihrer Ecke ein Pub beherbergt. Dann über die Brücke, die Fussgängern, Velofahrern, Tieren, Autos und. . . der Eisenbahn gleichzeitig dient. Doch die Geschichten - und vor allem die Nächte - sind längst passé, als die Einheimischen in betrunkener Manier die Mutprobe zu bestehen hatten, mit dem Auto solange mitten auf der Brücke zu warten, bis am anderen Ende der Zug auftauchte, um dann im Rückwärtsgang die Flucht anzutreten! Vielleicht waren dies auch nur Bar-Geschichten, die wir beim ersten Besuch vor Jahren hier hörten und die nun wieder auftauchen.

Gold!!!
Shantytown ist eine Touristenstadt. Doch jetzt, im Herbst, verirren sich nur Einzelgänger in diese Wild-West-Stadt, die touristenbeladenen Busse wählen die West-Coast-Road im Hochsommer. Shantytown ist die Nachbildung einer Goldgräberstadt, wie sie hier an der Westküste vor hundert Jahren tatsächlich existierte: Man riecht förmlich die vergangene Zeit und erwartet jeden Augenblick, dass eine Horde Cowboys die Strasse daherreitet. Für Kim und Malolo sind diese alten Häuser und vielen Ausstellungsobjekte ein wahres Abenteuer. Und als dann auch noch die Dampflock mitten im Busch schnaubt und raucht, und Malolo den Wegweiser: "Goldwaschen" sieht, sind für die Kinder die langen Autofahrten der letzten Tage vergessen! Wir vergnügen uns in Shantytown einige Stunden, fahren Dampflok und waschen Gold, nehmen einen Drink im Saloon und essen Lunch im alten Hotel, besuchen ein Spital, sitzen im Gefängnis und staunen über die Hütten, in denen die Goldgräber hausten. Die Zeit vergeht im Flug, die Leute sind äusserst nett und freundlich, und die 30 Dollar, die der Familieneintritt gekostet hat, sind tatsächlich Gold wert. Erst am späten Nachmittag verlassen wir diesen Ort, gerade rechtzeitig, um vor Ladenschluss um 17 Uhr in Greymouth einen Blick in die Jade-Boulder-Gallery zu werfen. Die Preise hier sind "anständig" (hoch), doch der mit viel Geschmack aufgemachte Laden, die kompetenten Infos und die freundliche Bedienung auch für Leute, die nicht den grossen Einkauf vor Augen haben, sind so "anmächelig", dass auch wir einkaufen. . . nebst Schmuck für Eveline nun endlich die Opossum-Felle für Malolo und Kim! Es dunkelt schon, als wir weiter nach Punakaiki mit seinen Pancake-Rocks fahren. Hier finden wir - typisch, denn 17 Uhr ist vorbei - das geschlossene Info-Center und vorerst keinen Platz zum Übernachten: Das "Backpackers" schmeckt uns nicht! Der mit Sandalen bespickte Körnlipicker-Cartaker will doch satte 60 Dollars von uns, damit wir uns in unseren Schlafsäcken in einem stickig-stinkigen Schlafsaal niederlegen dürfen. Good bye and thank you... wir versuchen es andernorts, im einzigen Motel in Punakaiki.

Alte Bekannte
Zwar kostet das Motel 30 Dollar mehr, doch allein der Schwatz mit der netten "Hausmutter", die heute abend ihre Tochter vertritt, ist den Mehrpreis wert. Und das Häuschen, das sie uns anbietet, ist ein Bijou: Direkt an der Küste, hochglanzpoliert der hundertjährige Holzboden und Platz für eine Familie, die ruhig sieben Köpfe zählen könnte. Wir geniessen den Abend in diesem Häuschen, machen Kassasturz (mit mittelmässigem Schock, doch was soll's?!), schreiben, geniessen den ruhigen Abend. . . Kim allerdings hat etwas Fieber, er wirft sich unruhig hin und her, braucht Mama und Papa, hat einen heissen Kopf und klagt über Bauchschmerzen - doch dann, wohl übermannt von Gold und Dampfloki-Erlebnissen, schläft er ruhig ein. Nichts beunruhigt diesen Abend mehr, nur als der Motel-Besitzer kurz reinschaut, um eine Sicherung zu ersetzen, kommen wir ins Nachdenken: «Wart Ihr nicht schon einmal hier?» fragt er uns. Und wir rätseln: «Kennen wir diesen Mann nicht?» Anderntags begrüsst uns erneut ein sonniger Tag: herrlich aufzuwachen und die brechenden Wellen im Schlafzimmer zu wähnen! Den Jug anstellen, einen Schnellkaffee einschenken, die Cornflakes aus unserer Essenkiste zaubern, Brot, Honig, Konfi und - für Kim (und Papa) - auch Nutella auf den Tisch. Eveline ist die perfekte Reise-Essen-Organisatorin! Die Aussicht ist einmalig: Schäumende Wellen und unendliche Weite. Doch so unendlich weit ist das Land dann doch wieder nicht! Als die junge Motelbesitzerin morgens ihre Runde macht, fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Klar, vor sechzehn Jahren haben wir diese Leute in Cromwell, einem geschichtsträchtigen Ort, das damals von Elektro-Bossen ertränkt wurde (ein Damm, lieblos hineingepflanzt, sollte noch mehr Strom für die Alu-Schmelzwerke im Süden der Insel garantieren), in einer Hotel-Bar getroffen. Wir lernten diese Menschen kennen, haben geredet und getrunken. Vier Jahre später haben wir sie erneut besucht und sogar bei ihnen in Wellington übernachtet und jetzt - jetzt will der Zufall, dass wir uns hier wiedersehen...

Regen und Kunsthandwerk
Später als geplant besuchen wir die Blow-Holes und die Pancake-Rocks, eigenartige Felsformationen, vor denen man stundenlang verweilen kann. Dann geht die Fahrt weiter nordwärts... Westport, entlang der Buller-Gorge hinauf nach Murichson, wo uns - wer sagt denn etwas von Sunshine-City? - Regen, Nebel und Kälte erwarten. Es ist dunkel, die Kinder und wir müde, als wir in Nelson eintreffen und nach kurzer Suche ein nettes, geräumiges Motel finden. Nur Malolo wacht an diesem Abend nochmals mit Schrecken auf: Die junge Dame will nämlich unbedingt noch ein Spa-Bad nehmen, kann allerdings kaum warten, bis die Wanne voll ist und lässt die Düsen zu früh laufen! Was für eine Sauerei in Bad und Gang - und auch ich bin pudelnass, bis ich den Abstellknopf finde. Zum Glück nur Wasser!
Man merkt etwas von Kultur und Flair in diesem Städtchen: Nicht nur, dass ich morgens mühelos einen Shop mit frischen Gipfeli finde, auch die vielen Kunsthandwerksbetriebe und Galerien laden zum Verweilen ein. Der Tag, leicht bewölkt aber angenehm warm, verleitet zum Shoppen und Schauen. So besuchen wir Töpfereien und Glasbläser, Goldschmiede und weitere Kunsthandwerkerinnen. Sogar Kim hat etwas Geduld, und Mama und Malolo würden heute noch in diesen Shops verweilenÉ sprich: einkaufen.
Am Nachmittag füttern wir unsere Kinder amerikanisch: Sie bleiben im Motel und schauen Kinderserien im Fernsehen (Malolo schnappt sich jeden Tag die Zeitung und weiss genau, was wann und auf welchem Kanal los ist. Wir trösten uns damit, dass sie so wenigstens noch besser Englisch lernt...), - Eveline und ich geniessen das Bummeln durchs schöne Städtchen.

Über die See nach Norden
Noch einmal lacht die Sonne auf der Südinsel - genau richtig, um unsere Überfahrt von Picton nach Wellington zu versüssen. In Nelson allerdings herrscht bei uns an diesem Donnerstagmorgen, 23. Mai, Aufregung: Eveline muss unbedingt nochmals ein Weberei-Studio besuchen, Pius will seinen Cömpi noch an diesem Morgen repariert haben. Dabei sollten wir doch Nelson spätestens um 10 Uhr 30 verlassen, um rechtzeitig um halb eins bei der Fähre in Picton einzutreffen! Doch die Uhr zeigt halb zwölf, als wir uns endlich auf den Weg machen: Die Raserei durch Feld und Wald und entlang den Queen-Charlotte-Drive finden Malolo und Kim mit Recht nicht lustig. Aber die Eile hat auch ihr Gutes: Der Abschied von der Südinsel fällt so viel leichter.
Doch jetzt, als die Fähre majestätisch langsam den Hafen von Picton verlässt, durch die Sounds - zu deutsch etwa "Fjorde" - schleicht, jetzt kommen die Tränen: Adee Südinsel - auf der wir leider viel zuwenig Zeit hatten, aber trotzdem viele wunderschöne Erlebnisse mitnehmen durften. Und wir schwören heimlich: "Wir kommen wieder!" Dann werden wir wieder durch Nationalparks und Wälder wandern, so wie wir es vor Jahren schon getan haben. Wir werden noch viel länger in Tekapo und der Westküste bleiben, den Regen und das rauhe Klima in den Catlins doppelt geniessen, den. . . Doch was soll's: Wer mit Kindern reist, kann sich nicht alle Wünsche erfüllen - dafür viel anderes Ð Aussergewöhnliches! Ð erleben!

Windy Wellington
Wellington empfängt uns windig, aber in schönstem Abendlicht. Gerade vor der Rush-hour entfliehen wir dem Stadtzentrum, hinauf, zwanzig Autominuten nordwärts nach Whitby, wo wir das Wochenende bei der Merwood-Family, die inzwischen mehr als "nur" Net-Bekannte sind, verbringen. Am Freitag heisst es organisieren und einkaufen, denn in einer Woche schon werden wir mitten im Südpazifik auf einer Insel sein. Doch was soll man da schon mitnehmen? Am besten nichts, ausser...
Den Freitagabend geniessen wir Erwachsenen in einer Pizzeria am Hafen von Wellington. Erstaunlich: Vor neun Jahren gab es so etwas in Neuseeland noch nicht - heute ist hier alles zu haben, inklusive Original-Grappas zum Dessert. Wellington ist, wie die anderen grossen Städte hier in Aotearoa, eine Weltstadt geworden - da hätten wir auch nach Zürich gehen können. Am Samstag geniessen Eveline und ich (hurra, schon wieder ohne Kinder!) die Shopping-Center, die in den vergangenen Jahren rund um die Hauptstädte Neuseelands entstanden sind. Die Stadtzentren für die Touristen, die Shopping-Center für die Einheimischen! Alles finden wir da, ausser einer gemütlichen Kneipe, wo wir unser "Steinlager" schlürfen können. Am Abend führen unsere Gastgeber uns aus: Ein Versteigerung zugunsten des lokalen Kindergartens ist angesagt. Punkt viertel vor acht geht die Show los, nach fünfzig versteigerten Artikeln - von Vorhängen bis zu Geburtstagskuchen, von Karriere-Beratung bis zum Babysitting - machen wir uns über das Buffet her. Dann nochmals fünfzig Artikel - um halb elf ist sie Show zu Ende, gut viertausend Dollar Reingewinn in der Kasse, und alle kehren per Auto (und wenn es nur 100 Meter zum Gehen wäre!) nach Hause zurück, wo meistens noch bis Mitternacht oder später einige Biers, Wein und dann der obligate "A cuppa?" (eine Tasse Tee oder Kaffee) getrunken werden. Am Sonntag misten wir nochmals aus, packen und verlassen Wellington am Pfingstmontag, 27. Mai, - ein ganz normaler Arbeitstag übrigens - Richtung Palmerston North. Auf Schleich- und Umwegen erreichen wir diese hundsgewöhnliche Stadt, die wohl nur dank ihrer Massey-Universität eine Stadt ist. Die Landschaft hier erinnert uns tatsächlich an die Schweiz, eine Fahrt durchs Thurgau, entlang der Thur etwa, könnte sehr ähnlich sein.

Natur-Macht
In Palmersten North haben wir eine Verabredung: Unsere Nachbarn aus der Schweiz verbringen dort ein halbes Jahr - "studienhalber", wie es so schön heisst. Der Empfang ist herzlich, "schwiizerdüütsch" ist Trumpf, was Malolo und Kim geniessen, haben wir doch - ausser mit unserem "Zufalls"-Nachbarn in den Catlins - seit Februar mit keinen Schweizerinnen oder Schweizern Kontakt gehabt. Wir verbringen den Rest des Nachmittags mit Reden und Reden, sitzen bis spät nachts auf, auch wenn es in diesen nicht-isolieren Häusern mit ihren knappen Heizungen bitterkalt-ungemütlich ist. Thema Nummer eins ist natürlich New Zealand - aber dann wird auch das "Reisen mit Kindern" heftig diskutiert - das Leben als Schweizer Familie im Ausland. Mir graut vor dem Dienstag, 28. Mai! Unser zweitletzter Reisetag soll über einige hundert Kilometer von Palmerston North bis in die Nähe von Hamilton führen: das heisst nicht anderes als "Kilometer spulen". Doch der Tag wird ganz, ganz anders - und voller Überraschungen! Regenverhangener Himmel und tiefgrüne Wiesen begleiten uns Richtung Wanganui. Kurz vor der Stadt biegen wir landeinwärts ab in Richtung Vulkane. Die Strasse windet sich eng und kurvig um die längst erloschenen Vulkanhügel, das Land ist jetzt so zerklüftet und hügelig, dass das Farmen uninteressant und unrentabel ist. Nur hie und da öffnet sich weites, sattgrünes Land, ein Fluss, der sich in tausend Kurven und Kürvchen vorwärtsschlängelt, setzt Zeichen. Die Reise geht schleppend voran, das Fahren - und vor allem das "Fahren müssen" - geht allen auf die Nerven. Die Mittagsrast ist wohl kaum das, was man ein "happy Family-meal" nennt.
Doch glücklicherweise heben sich kurz darauf die Wolken und je blauer der Himmel wird, desto besser wird auch unsere Stimmung wieder. Jetzt plötzlich fahren wir nicht nur, wir sehen auch! Mount Ruapehu - der König der Vulkane, döst ruhig, doch unheimlich still vor sich hin. Die jungfräuliche Schneekrone um sein Haupt macht den stolzen Berg noch schöner. Etwas weiter, als dann auch die kleinen Vulkan-Brüder Tongariro und Naungaruhu auftauchen, ist das Bild von Natur-Macht komplett. Wir stoppen, sitzen, schauen. Nichts tun, geniessen, einfach schauen. Ein fantastisches, friedliches Bild! Wer hätte damals geahnt, dass dieser schlummernde Vulkan nur drei Wochen später Land und Leute urplötzlich in Unruhe und Angst versetzen - mit einem gewaltigen, völlig unerwarteten Ausbruch das ganze Nordland mit Vulkan-Asche bedecken würde?

Abschied mit Stil
Doch wir denken nicht an Vulkan-Ausbrüche. Erst als uns die nette Frau vom Ski-Shop vom letzten Ausbruch erzählt, das private Fotoalbum voller Asche und Lava zeigt, wird uns etwas kribbelig: Wenn der Berg nun plötzlich zu rauchen und rumoren begänne? Kim stellt Fragen über Fragen - der Vulkan hat ihn total begeistert. Wir reden, diskutieren und sinnieren beim Weiterfahren. Die Stimmung stimmt (wieder), und wir entscheiden: Dieser "letzte" Neuseeland-Reiseabend soll für alle etwas Besonderes werden. "Besonders" ist das THC-Hotel in Waitomo: Ein altes Hotel samt Schlossgeistern. Ganz im Dachstock oben bekommen wir ein verwinkeltes, lustiges, altmodisches Zimmer: Die Kinder wollen sofort hierbleiben, und wir sagen zu - trotz hohem Preis. Doch was soll's? Schon genug fürs Zimmer ausgegeben, wollen wir jetzt im alten Speisesaal, wo ein grosses Kaminfeuer knistert, auch noch en ausgezeichnetes Abendessen geniessen. Und tatsächlich: Brillante Bedienung, feines Essen, Kinder, die sich bestens benehmen und ein Abend voller Harmonie macht unseren letzten Reiseabend zu einem besonderen Erlebnis.
Erst später, als die Kinder oben schlafen und Eveline und ich vor dem Kamin in der Hotellobby unsern "Nightcup" geniessen, erklärt uns der Kellner: Ein Schlossgeist lebe hier und heute abend sei dieser gute Geist wohl im Speisesaal zugegen gewesen, denn "we all had such a perfect and peaceful evening!" Wie recht er doch hat!

"Steinlager"-Methode
Am andern Morgen sind wir bereits um neun Uhr aus dem Hotel: Die gut 200 Dollar - rund 160 Schweizer Franken - die uns dieser "Abschiedsabend" in Neuseeland gekostet hat - waren jeden Cent wert! Wir fragen uns nur, was die neuen Hotelbesitzer, die "einiges ändern wollen", denn überhaupt ändern müssen?!
Der Besuch der Waitomo-Glühwürmchenhöhlen an diesem Morgen verläuft ruhig und fast touristenlos - nur ein australisches Pärchen steigt mit uns und einem Führer in die Höhlen hinab und geniesst eine Untergrund-Bootsfahrt in absoluter Dunkelheit- begleitet nur von Millionen von Glühwürmchen, die scheu von den Felsdecken leuchten. Dann besuchen wir die Angora-Hasen-Farm und eine alte Maori-Village, wo Malolo sich kaum vom Gräser-Weben und Kleider-Flechten losreissen kann. Ach, hätten wir doch nur alle Zeit dieser Welt!
Doch wir "müssen" weiter - gegen Abend erreichen wir unserer Freunde in Hamilton - mit einem Van, bei dem bei jedem Stop der Motor abstirbt, der Öl verliert. . . und den wir jetzt verkaufen sollten! Eine Autogarage bringt uns auf dem Boden der Realität zurück - Rund 800 Dollar wird die Reparatur kosten. Was sollen wir denn nun machen? Wir stehen vor Bergen von Fragen, vor Bergen von Souvenirs, Muscheln, Sand, Kleidern, Holzstücken, Steinen, Kisten, Rucksäcken und Plastiksäcken und vor einem riesigen Zeitproblem: Innert gut 24 Stunden muss alles verkauft, verstaut und reisebereit sein. Also machen wir uns an diesem Mittwochabend an die Arbeit: Eveline und ich entscheiden - nachdem die Kinder um 19.00 Uhr todmüde eingeschlafen sind - als erstes, in die nächstbeste Bar zu gehen.
Dort bleiben wir auch, bis wir vor lauter "Steinlager" zu müde sind, um an unsere Sorgen zu denken.

Abschied mit Tränen
Der Donnerstag ist ein hektischer Tag, der Schädel brummt, nicht nur vom Bier des Vorabends: Ich eile von Autodealer zu Autodealer, versuche Chilli- (Kühltasche) und Plasikbin (Plastikeimer), Zelt und sonstiges zu verkaufen.
Da ein paar Dollars, dort etwas Geld - am Schluss sind hundert Dollars zusammen. Nicht schlecht, haben wir doch vor drei Monaten rund 150 Dollars für alles ausgegeben. Nur unser Auto, das will einfach niemand mehr! Der Markt habe sich "drastisch verändert in den letzten drei Monaten", höre ich überall, und tatsächlich scheint mir, dass alle Dealer jetzt jede Menge Vans zu verkaufen haben. "Unser" Dealer offeriert 4000 Dollars - wenig zwar, aber immer noch viel mehr als andere - und auf unsere Inserate hin hat sich auch niemand gemeldet!
Eveline versucht in der Zwischenzeit, unsere Koffer und Rucksäcke zu packen: Zwei Tramper-Rucksäcke voller Ware nahmen wir mit nach Neuseeland - jetzt stehen drei vollgepackte Koffer (vornehmlich mit gesammelten Utensilien von Kim und Malolo) zur Rückreise bereit! Die Zeit läuft uns auch am diesem Donnerstag davon, deshalb Zeit, ein tatsächlich letztes "Steinlager" in "unserer" Bar zu haben. Und weil unsere Freunde von Hamilton uns heute noch ein letztes Mal begleiten, wird es Freitag, bis wir wieder "zuhause" sind.
Freitag, 31. Mai 1996, ein Tag, den wir zweimal erleben werden! Am Morgen gehe ich durch die Hölle: Der Van steht noch immer vor dem Haus - und heute Nachmittag werden wir Neuseeland definitiv verlassen! Also nochmals zum Dealer, das Angebot ist nicht besser, aber ich sage: "OK - I sell, but I want cash!" Der Dealer, ein Schlitzohr durch und durch, fragt nochmals, ob der Wagen denn auch tatsächlich noch intakt sei. Ich beteure es (ehrlich) - und er will Cash zahlen. Er stellt mir den Cheque aus - doch um ans Geld zu kommen, muss ich auf "seine" Bank. Der Dealer offeriert mir einen "Lift", ich bin hocherfreut und merke erst jetzt, dass ich einen grossen Fehler gemacht habe: er nimmt die Schlüssel "unseres" Vans, will mich in die Stadt zur Bank fahren und dabei den Van testfahren! Vermutlich bin ich kreideweiss, denn was nun, wenn der Van bei jedem Rotlicht, bei jedem Bremsen, stoppt? Doch nichts passiert, respektive "Grünlicht" für uns: Nur zweimal würgt den Motor ab, was ich "cool" mit: "It just happens when the motor is cold!" quittiere..., fünf Minuten später habe ich die vierzig Hunderter-Nötli in der Hand und verschwinde durch eine Hintergasse: Dealer (er hat schliesslich satte 3000 Dollars in drei Monaten mit "nichts" verdient) und wir (Hauptsache, wir hatten unfallfreie Fahrt) sind schliesslich gleichermassen zufrieden!
Eveline hat in der Zwischenzeit ihr letztes Shopping erledigt: Alles, was auf der "Insel" unverhältnismässig teuer ist, wollen wir mitnehmen - doch es ist viel zu viel! Stress macht sich breit, die Kinder warten, die Zeit rast, und dann lasse ich in einem Schuhshop auch noch meinen "heiligen" Rucksack mit all unserem Bargeld für die Insel (inklusive den 4000$-Cash!), den Flugtickets, den Passports und anderem einfach am Boden beim Schuhe anprobieren liegen. Erst auf der Strasse merke ich: Halt! Da fehlt doch was auf meinem Rücken. Wie von einer Tarantel gestochen rase ich zurück - da liegen unsere "Ferien" friedlich inmitten von Leuten und Ausverkauf-Schuhen! Das bringt Eveline und mich auf den Boden der Realität zurück - wir kaufen gar nichts mehr und kehren in unsere Hamilton-Basis zurück.
Jetzt heisst es zum letzten Mal "adieu"-sagen: mit Tränen Neuseeland-Boden verlassen! Und alles purzelt plötzlich im Kopf herum: Warum gehen wir? Wann kommen wir wieder? Haben wir uns richtig entschieden? Wann sehen wir unsere Freunde wieder? Und, und, und..., doch Peter, unser "Chauffeur", drängt. Wir sind spät dran! Keine Zeit für langes Abschiedsreden - was auch gut ist so!
Vier Stunden später hebt die "737" ab in Richtung Südpazifik. Und nochmals vier Stunden später, am selben Freitagmorgen wieder, werden wir auf den Cook Inseln landen. Wir sind durcheinander, geschafft, erschöpft, erschlagen und begreifen erst jetzt, was geschehen ist: Neuseeland adee, weinen wir. . . während Malolo und Kim bereits "abgehoben" ihre Knöpfe drücken und die Stewardess nett (und in perfektem English!) fragen: "Do you have some games, please?"
Wären wir doch wie Kinder! Mit lieben Grüssen, zu letzten Mal aus Aotearoa!
Eveline, Pius, Malolo und Kim

© by: Pius Kessler
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update: Januar 2000