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ein traumhafter Herbst
7. E-mail aus Aotearoa, 7. Mai 1996
Die Diskussion war eigentlich nur stummes Geradeausschauen. Einig waren wir uns, aber
trotzdem fuhren wir weiter: Unterwegssein mit Kindern (und auch alleine oder zu zweit)
macht dann am wenigsten Spass, wenn man im Auto Kilometer spulen muss. Da hilft auch
dieser sonnenüberflutete Mittwochnachmittag nichts, an dem wir - Blenheim beiseite liegen
lassend - südwärts fahren. Vorbei an riesigen Weingütern, dann up and down über karge,
kahle Hügel, durch die sich die Strasse wie eine Schneise frisst. Nur manchmal geht der
Fuss vom Gaspedal, dann etwa, wenn die immer tiefer stehende Sonne ihre gleissenden
Strahlen ins Autoinnere wirft oder dann, wenn eine der vielen Brücken schmal und
schmäler wird, sodass nur noch ein Auto passieren kann. Die Landschaft ist einmalig
(karg) und trotzdem macht-strotzend: Die ins goldene Licht getauchten Hügel, die sanft
ansteigen und plötzlich auf ihrer Ostseite steil abfallen - kaltes Meerwasser donnert
gegen das Gestein, eine wilde Küstenstrecke liegt vor uns, als wir Ward, ein kleines
Kaff, passieren. Die Naturgewalten vermögen die Kinder wenig zu faszinieren. Ein Glück
nur, dass sie nicht dauernd launisch sind oder reklamieren: Kim und Malolo sind angenehme
Reisende, begnügen sich damit, mit einem Filzstift zu zeichnen oder bei einem Halt einige
Chips zu knabbern.
Faule Seals
Dann schrecken wir auf: Da liegen doch Seals am Strand?! Malolo und Kim sind aus dem
Häuschen. Ich parkierte den Wagen bereits am Strassenrand, als ich einen Parkplatz etwas
weiter vorne bemerke. Also einige Meter vor, dann merken wir: Aha! Ein Touristenspot.
Einige Schweizer und ein deutsches Pärchen sind fleissig am Fötele, und wir haben alle
liebe Mühe, Kim und Malolo zu erklären, warum man nicht zu den Seals auf die Felsen
hinuntersteigen darf.
Bei der Weiterfahrt mein zweiter Schreck: Ein Blick auf die Benzinanzeige lässt schlimmes
ahnen... aber nur noch 20 Kilometer bis Kaikoura - das werden wir wohl noch schaffen. Die
Dämmerung bricht herein, und gleichzeitig wird die breite Küstenstrasse immer schmaler.
Eine Verkehrstafel zeigt an: Steinschlag und kurvenreiche Strasse für die nächsten drei
Kilometer. Es geht leicht bergauf da. . . stottter-stotter-stotter. Sofort auskuppeln,
knapp den Hügel schaffen und ausrollen. 20 Meter weiter vorne ein Stück Wiese. Anhalten
und - da stehen doch Autos und junge Leute herum! Tatsächlich: einige Studenten aus
Christchurch wollen am Strand zelten und surfen - aber zuvor bringen sie mich noch für
"a dozen" (ein Dutzend Biere) an die nächste Tankstelle. Es ist stockdunkel,
als wir an diesem Mittwochabend, 24. April, um 18.30 endlich ein Motel in Kaikoura zum
Übernachten finden.
Heisser Flug
Am Morgen heisst es wieder packen, einladen und zahlen - so zwischen 70 und 100 Dollars
kostet eine Motelnacht für die Familie. Etwas teurer als Cabins auf Zeltplätzen, dafür
mit allem Komfort und genügend Platz, sodass für Eveline und mich abends, wenn die
Kinder schlafen, auch noch etwas Zeit und Raum bleibt.
Beim Bezahlen blättere ich die Whale-Watching-Prospekte durch - der geschäftige
Caretaker bemerkt es, und schon hängt er am Telefon mit seinem Kollegen von der Air
Kaikoura. Gesagt, getan: eine Viertelstunde später begrüsst uns der Pilot auf dem
Flugfeld. Wir besteigen mit mulmigem Gefühl ein vierplätziges "Schnäpperli",
Kim muss mit dem nicht vorhandenen Sitz zwischen Malolo und Mama vorlieb nehmen, während
ich neben dem Pilot mit griffbereiter Kamera sitze. Für 150 Franken wollen wir uns diese
Attraktion nicht entgehen lassen. Take off - die Kinder staunen, und wir Erwachsenen sind
die unsicheren Gefühle nicht ganz los. Doch die fantastische Aussicht in die
schneebedeckten Zweieinhalb-Tausender der Inland- und Seaward Kaikoura Range, das grüne
Grün der vereinzelten Wälder und Wiesen, das schroffe Schwarz der Felsen und das
unendliche Blau des Meeres beruhigen uns. Da über dem Wasser also solltn wir Wale
entdecken, die hier, entlang eines tausend Meter tiefen Unterwassergrabens leben. Rund
eine Stunde tauchen die Wale, währenddem sie dann für nur knappe zehn Minuten an der
Oberfläche Luft schnappen. Plötzlich ein dunkler Schatten, der Pilot reisst seine
Maschine herum, kurvt tiefer, und wir sehen den Sperm Whale in seiner vollen Länge,
seiner vollen Eleganz, bis er ein letztes Mal den Kopf hebt, den Rumpf beugt, seine Flosse
in die Höhe streckt, bevor er endgültig abtaucht. Welch ein Anblick - und als wir dann
auch noch einen zweiten Wal entdecken, ist der Tag schon morgens um 11 Uhr perfekt, die
Flugangst weg. Für Kim, der in der Zwischenzeit auf meinen Knien Platz genommen hat, sind
die Wale zwar beeindruckend, dass er aber das Flugzeug selber steuern durfte - mal nach
rechts und dann wieder nach links kurvte - das hat dem Buben wohl noch viel mehr Eindruck
gemacht!
Nach ChCh
Malolo ist eher die stille Geniesserin. Ihre Eindrücke hält sie in unzähligen kleinen
Zeichnungen fest, in denen sie farbenfroh unsere Reise auf ihre Art und Weise erzählt.
Die Fahrt Richtung Christchurch geht durch lange Felder, jetzt im Herbst in leuchtend
satten Farben. Kurz vor der "Hauptstadt" der Südlichen Insel dann noch ein
Abstecher Richtung Spencerville. Ein hübscher Park direkt am Meer, mit einer wunderbaren
Campinganlage, doch auch hier: Eine einigermassen rechte Cabin kostet für vier Personen
70 Dollar - dafür kriegt man ja ein Motel. Zudem, jetzt ist Mama- und Papa-Time: Wir
wollen in Christchurch etwas Kultur- und Stadtleben tanken; und dafür leisten wir uns
auch ein feineres Motel im Meadow-Park, wenige Kilometer
vom Stadtzentrum entfernt.
Ein langes Wochenende
Christchurch ist ein langes Wochenende wert: Die Stadt zum Flanieren und Spazieren, zum
Einkaufen und Verweilen. Besonders das "Art Center" mit seinem Markt am
Wochenende ist ein Erlebnis. In lockeren Gesprächen mit den Crafts-Leuten erfährt man
immer wieder neues übers Land und die Lebensweise - über Sorgen und Probleme, Freuden
und Leiden: Die Welt, so denke ich, wird sich immer ähnlicher. Auch hier fehlt es an
allen Ecken und Enden an Geld für Kultur - dennoch: der Live-Jazz, der aus dem Caffée
tönt, die ansteckende Stimmung der Entertainer auf den Strassen und Plätzen, die Zeit,
die sich die Künstlerinnen und Künstler für ein Gespräch (auch mit Kunden ohne
Kaufabsichten) nehmen - das alles lässt Kultur in Christchurch leben.
Wer die Stadt lieber aus der Ferne erlebt, der ist mit der neuen "Gondola"
bestens bedient. Bei herrlichem Herbstwetter machen wir den Ausflug auf den kleinen
Hügel, geniessen das interessante Infoangebot - mit Erklärungen und Demonstrationen
über Vulkane, erste Siedler und Maoris, die auch Kim und Malolo verstehen und die sie
begeistern - und spazieren dann gemütlich wieder bergab.
Zwangs-Halt
Am Montag, 29. April, verlassen wir diese schöne Stadt (die andere Seite, wie brutales
Schiessen auf Passanten, Bombendrohungen am Avon-River, brutale Morde und Schlägereien
und so weiter lassen wir einmal unerwähnt. . .). Wir fahren weiter südlich. Es regnet,
die Berge sind in Nebelfetzen gehüllt, die Canterbury Plans aber sind so unendlich und
gross wie eh und je. Die Strassen führen meist geradeaus. In Ashburton versuchen wir
erneut, ein paar gute Wanderschuhe (koste es, was es wolle) für Kim zu kaufen. Aber in
Kindergrösse gibt's keine gesunden Schuhe, ausser Plastiklatschen - made in China. Und so
kaufen wir eben solche Schuhe für 19.99 Dollar im Warehouse und lernen später von
Einheimischen, dass es tatsächlich fast unmöglich ist, gute Wanderschuhe für Kinder zu
kriegen. Ein weiterer Stop Rangitata ist geplant: Der Besuch der Woolshed - einem Eldorado
für "Pure Wool", ohne dass man sich dumm und dämlich zahlt. Tatsächlich
finden wir da Pullis und Jacken zu Preisen, die einen nicht frieren lassen. Allerdings:
Wer hier Modesachen sucht, ist auf dem Holzweg. Die gibt's offenbar tatsächlich nur in
den Hauptstädten!
Auf dem Holzweg sind wir aber auch mit unserem Van: Was tropft denn da so schön vor sich
hin. . . der nächste Halt hiess deshalb Geraldine, Ford-Garage! Doch abends um fünf sind
die Werkstätte geschlossen - also wieder ein nicht gewollter Motel-Stop in einem Dorf.
Jetzt reicht es uns mit dieser doofen Fahrerei!
Paradise down south
Anderntags stehe ich erneut um acht Uhr morgens in einer Garage. "We'll have a look
what's wrong", verspricht der Mechaniker, und nachdem ich mich versichere , dass er
sich auch tatsächlich an unserem Van zu schaffen macht, spaziere ich ins noch totenstille
Dörfchen Geraldine. Ein Take away hat geöffnet, ein lauer Kaffee und die örtliche
Zeitung hilft, den grauen nebelverhangenen Morgen zu verbringen. Um 10 Uhr steht unser Van
wieder bereit - die 40 Dollar sind hoffentlich gut investiert.
Wir fahren landeinwärts, hinauf in die Berge, ins Mackenzie-Country. Eine
Wüstenlandschaft liegt vor uns - kahle Hügel, Steppen, vereinzelt suchen Schafe das
wenige Grün zwischen den Steinen. Nach dem Burke-Pass windet sich die Strasse abwärts
dem Lake Tekapo zu - fast gleichzeitig drückt auch die Sonne durch die Wolken. Jetzt
sofort aussteigen - ein Mittagshalt am See ist angesagt. Hier am Lake Tekapo - mit seinem
milchig blau-weissem Wasser, den farbigen Herbst-Bäumen entlang des Ufers, den kahlen
Hügeln und den schneebedeckten Bergen in der Ferne - kehrt Ruhe ein. "Ein Platz zum
Bleiben", denken Eveline und ich gleichzeitig laut.
Und wie das Schicksal so spielt: ein Haus am See, eine rote, fast unsichtbare Tafel
"Frei" und Eveline, die schmunzelt, als sie von ihrer Exkursion zurückkommt.
"Einfach fantastisch", ist ihr Kommentar, und eine halbe Stunde später sitzen
wir vor "unserem Haus" am See - atmen die frische Herbstluft und geniessen die
unbeschreibliche Weitsicht und Ruhe.
Natürlich hätten wir wissen müssen, dass nur Häuser von Schweizern mit
"Chalet" angeschrieben werden, aber vor lauter Freude über den schönen Platz
war uns das gar nicht aufgefallen. Tatsächlich: Das kleine,
aber feine Motel wird von einem Schweizer Ehepaar geführt, das vor Jahren als
Skilehrer/-in hier in Neuseeland gestrandet ist und nun als Motel-Besitzer und Jagd- und
Fishing-Guide ihr Leben lebt. Kein schlechtes, auf den ersten Blick, aber beim genaueren
Hinsehen muss man wohl auch dazu geboren sein, in diesem 300-Seelen-Dorf, mit
Petrol-Station und Einkaufsshop, einem Pub, einem Japanese-, zwei Chinese-Restaurants und
täglich hunderten von meist asiatischen Quick-Foto-Stop-Touristen zu leben und
überleben. Als Besucher - und das sind wir ja wohl - aber lässt es sich hier für zehn
Tage ausgezeichnet geniessen - nichts tun, ausser sein und schauen: Paradise down South.
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